Die Schlacht bei Rocroi am 19. Mai 1643

von Günther Dunze

Rocroi ist eine kleine, französische Stadt, mit etwa 2.500 Einwohnern, in der Region Champagne-Ardenne, an der Süd-West-Grenze Belgiens zu Frankreich. Das Stadtbild ist noch heute von den Befestigungsanlagen geprägt, welche der französische Festungsbaumeister Vauban im Jahr 1675 im Auftrag Ludwig XIV. errichtete. Schon zu Zeiten des Kaisers Karl V. verlief hier die Grenze zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Zur Sicherung seines Territoriums ließ der französische König Heinrich II. die Stadt deshalb zu einer Festung ausbauen.
Einige Jahrzehnte später tobte in der Region parallel zum 30-jährigen Krieg in Deutschland, der Fran-zösisch-Spanische Krieg (1635 – 1659). Seit dem Jahr 1632 kämpften in Deutschland die Schweden in einer Allianz mit den protestantischen Reichfürsten gegen den Kaiser und die „Katholische Liga“, sowie die verbündeten Spanier. Auf Betreiben des Kardinals Richelieu trat Frankreich im Jahr 1635 als will-kommener Bundesgenosse und Kriegsteilnehmer auf die Seite Schwedens. Das hatte zur Folge, dass französische Truppen u. a. in die Spanischen Niederlande einbrachen. Im Gegenzug fielen spanische und habsburgische (kaiserliche) Heere in den Norden Frankreichs – unter Bedrohung der Hauptstadt Paris – ein.

In diesem Zeitabschnitt geriet die spanische Regierung in Madrid, bedingt durch die Beschneidung von Selbstverwaltungsrechten in den Regionen, durch gravierende Steuererhöhungen und eine allgemeine Wirtschaftskrise, zunehmend in Bedrängnis. In der Folge kam es im Jahr 1640, mit dem „Aufstand der Schnitter“ in den katalanischen Provinzen, zur offenen Auseinandersetzung. Die Ermordung des spanischen Vizekönigs in Barcelona und die Erklärung der Abspaltung von Spanien, sowie die Proklamation Ludwig XIII. von Frankreich zum Souverän durch die katalanische Ständeversammlung, forderte Gegenmaßnahmen heraus.
Als dann noch zu Beginn des Jahres 1643 Nachrichten über den Zustand des kränkelnden Königs Ludwig XIII. und sein bevorstehendes Ableben publik wurden, beschloss die spanische Zentralregierung von den „Spanischen Niederlanden“ – dem heutigen Belgien – aus, in den Norden Frankreichs einzufallen. Damit sollten die französischen Aktivitäten und der Druck auf Katalonien zurückgedrängt werden. Ein Erfolg dieser militärischen Aktion hätte im weiteren Verlauf zur Bedrohung der französischen Hauptstadt Paris geführt.
In Frankreich war man über das Vorhaben der Spanier gut informiert. Ab Mitte April 1643 ließ die französische Regierung unter Kardinal Mazarin die „Armee der Picardie“ aus verschiedenen Truppenteilen zusammenstellen. Die Gesamtstärke sollte ca. 25.000 Mann (einschl. 7.000 Berittenen) betragen. Zum Oberbefehlshaber wurde, mit Billigung des Königs Ludwig XIII., der fast 22-jährige Louis de Bourbon, Herzog von Enghien (Duc d´Enghien), ernannt. Er war von „königlichem Geblüt“ und zählte zu den Thronfolger-Kandidaten. Da er kaum über nennenswerte Erfahrungen im Kriegshandwerk verfügte, stellte man ihm einen altgedienten Militär, den Maréchal de l´Hôpital, als Lieutnant-General, zu Seite. Dazu kamen die Feldmarschälle (Mestre de Camp) Jean de Gassion, Marquis de la Ferté-Senneterre und Baron de Sirot.

Die „Armee der Picardie“ war, der damaligen Zeit entsprechend, eine bunt zusammengewürfelte Truppe. Neben Einheiten aus allen Teilen Frankreichs gehörten zur Infanterie (insges. 16.000 Mann) u.a. drei Schweizer Regimenter und zwölf Kompanien „Schottischer Garden“. Ähnlich war es bei der Kavallerie (insges. 7000 Mann). Sie bestand zwar überwiegend aus Franzosen, hatte aber auch drei deutsche Regimenter (von Bergh, Leschelle und Zillard), die kroatischen Regimenter Raab und Schack, sowie das ungarische Regiment des Barons Sirot in ihren Reihen. Die Einsatzeigenschaften der Truppenteile waren sehr unterschiedlich. Sie reichten von den Eliteeinheiten (vieux-corps: Picardie, Piemont und La Marine und Royal Companies) bis zu den angeworbenen Söldnern, die im Kampfeinsatz weniger zuverlässig waren.

Unter der Bezeichnung „Armee von Flandern“ stand den Franzosen eine Streitmacht von ungefähr 23.000 Mann gegenüber. Die Regimentsstärken betrugen zwischen 2500 und 3000 Mann. Zu einem Teil waren sie in den Territorien des spanisch – habsburgischen Herrschaftsbereichs (z.B. Brabant, Wallonien, Lombardei, Neapel, Sizilien etc.) rekrutiert worden. Hinzu kamen in Lothringen und in Deutschland angeworbene Truppen zu denen z. B. auch ein Regiment aus der Region Rietberg (heute NRW) zählte.
Als Elite galten die aus dem Mutterland Spanien stammenden Einheiten. Sie kämpften in der von den Spaniern entwickelten und bei den Gegnern gefürchteten Gefechtsformation des „Terzios“. Diese Truppen – Musketiere und Pikeniere – waren im Karree oder auch im Oktagon aufgestellt. Die Aufgabe der Pikeniere bestand im Schutz der Musketiere gegen Reiterattacken. Die Spanier entwickelten das Terzio bis zur Perfektion. In der Mitte der Formation waren Geschütze aufgestellt, die in kritischen Situationen, durch plötzlich auf Kommando gebildete Schneisen, die überraschten  Angreifen beschossen.
Den Oberbefehl über die spanischen Truppen, insgesamt ca. 23.000 Mann, hatte der Statt-halter der „Spanischen Niederlande“ – Don Francisco de Melo –  persönlich übernommen. Zu seinem Stab zählten u. a. die Korpskommandanten, der Herzog von Albuquerque, die Grafen de Bucquoy und von Isenburg, sowie sein Bruder Alvaro de Melo, als General der Artillerie. Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Führung der Armee war der Comte Paul Bernard de Fontaine, ein Lothringer, der bereits seit 47 Jahren als Offizier im Dienst des Königs von Spanien stand. In diesem Feldzug agierte er als „maestro de campo general“ und trug damit u. a. die Verantwortung für den Aufmarschplan und die Aufstellung der Truppen, sowie deren Einsatz im Kampf. Da er auf Grund seines Alters (67 Jahre) und durch eine chronische Erkrankung reitunfähig war, wurde er in einem Sessel getragen. Er starb in der Schlacht am 19. Mai 1643.  
Don Francisco de Melo war bewusst, dass er zunächst das stark befestigte Rocroi erobern musste, um in die Champagne einzumarschieren. Am 12. Mai 1643 erreichten die Spanier die Festung und begannen mit der Belagerung.

Die „Armee der Picardie“ versammelte sich Anfang Mai im Gebiet um Péronne, östlich von Amiens und begab sich am 9. Mai auf den Weg in Richtung Rocroi. Der Marsch führte über die folgende Route:
12. Mai     Moislains bei Péronne (Marschlager)
14. Mai    Fervaques bei Saint-Quentin
16. Mai    Foigny  (Marschlager)
17. Mai    Bossus lés Rumigny
18. Mai    Ankunft vor Rocroi
Gegen Mittag des 18. Mai näherte sich die französische Armee von Südwesten her der Festung Rocroi, die auf einem Plateau, umgeben von großen Sumpfflächen und Wäldern mit dichtem Unterholz, lag. Die Spanier hatten auf der Ebene, ca. 1 km vor Stadt, ihre Stellungen eingenommen und zur Verstärkung ihrer Artillerie einen Großteil der Belagerungsgeschütze von Rocroi abgezogen.
Die französische Armeeführung stand zu diesem Zeitpunkt unter starkem Druck. Durch Überläufer hatte sie erfahren, dass Verstärkungen aus den spanischen Niederlanden, unter dem General Johann von Beck (ca. 4.500 – 5.000 Mann Infanterie und ca. 1.000 Mann Kavallerie), im Anmarsch waren und deren Eintreffen unmittelbar bevorstand.  So fiel die Entscheidung, den Gegner spätestens am Morgen des 19. Mai 1643 anzugreifen.
Ein großes Problem war die Durchquerung des unwegsamen Geländes bis vor die Stellungen der Spanier. So wurden zunächst 50 kroatische Reiter zur Erkundung ausgesandt. Sie fanden zwei, allerdings beschwerliche Wege, die durch Buschwerk, Wald und über schwammige Böden führten. Danach drang die leichte französische Kavallerie über diese Schneisen vor, trieb die spanischen Vorposten zurück und verwickelte die vordere spanische Verteidigungslinie in Plänkler-Gefechte. Durch diese Aktionen war es möglich, die Hauptmacht der französischen Armee durch die kritischen Passagen zu führen und aufzustellen.
Bei Einbruch der Dunkelheit standen sich beide Armeen in einer Entfernung von ca. 1 km gegenüber. Die spanische Front erstreckte sich auf einer Breite von ca. 2.000 m und die französische Linie auf ca. 2.800 m. Die Truppen verbrachten die Nacht in Gefechtsbereitschaft.


Im Morgengrauen des 19. Juni, zwischen vier und sechs Uhr, stellten sich die Armeen in Schlachtordnung auf. Das Terrain wurde in nordwestlicher Richtung durch ein großes Sumpfgebiet (Marais de la Houppe) und nach Südosten durch einen ausgedehnten Wald (Bois des Potées) begrenzt. Bei beiden Armeen stand die Infanterie im Zentrum, während rechts und links davon die Kavallerie positioniert wurde. Die Artillerie wurde vor der Front platziert.
In der Tiefe war die französische Infanterie, die von de Espenan kommandiert wurde, in zwei Linien aufgestellt. Dahinter befand sich die Reserve unter dem Baron de Sirot. Die Kavallerie auf dem rechten Flügel wurde vom Comte de Gassion angeführt. Im zweiten Treffen hinter ihm hatte der Oberbefehlshaber, der Herzog von Enghien, Position bezogen. Auf der linken Seite stand die Kavallerie unter dem Kommando des Marquis de la Ferté-Senneterre und hinter ihm der Maréchal de l´Hôpital.
Die spanische Armee war in der Tiefe in vier Treffen aufgestellt. Den Abschluss als Reserve bildeten vier spanische Elite-Terzios. Der Oberbefehlshaber Don Francisco de Melo und der „maestro de campo general“, Comte Paul Bernard de Fontaine, standen hinter der ersten Linie des Zentrums. Die Kavallerie des rechten Flügels wurde von dem Grafen von Isenburg kommandiert. Dem Herzog von Albuquerque unterstand die Kavallerie auf dem linken Flügel.
Zu Beginn der Schlacht preschte die französische Kavallerie auf dem rechten Flügel nach vorn, vertrieb die in einem Wäldchen im Hinterhalt liegenden 800 spanischen Musketiere und drängte die Kavallerie Albuquerques zurück.
Die französische Kavallerie auf dem linken Flügel wurde jedoch von den Reitern des Grafen Isenburg geworfen. Der französische Befehlshaber, La Ferté-Senneterre, verlor sein Pferd und wurde, mit fünf Verwundungen, von den Spaniern gefangen genommen. In dieser kritischen Situation setzte sich der Maréchal de l´Hôpital an die Spitze der Reiterschwadronen der zweiten Linie und warf die Gegner zurück. Parallel dazu attackierte ein Teil der französischen Reiterei auf dem rechten Flügel unter Montbas, das Zentrum der Spanier, während der andere Teil unter Gassion zur Einkreisung des Gegners ansetzte.
Gegen neun Uhr war die spanische Armee umringt. Nach dem sich ein Teil der Spanier ergeben hatte, deuteten französische Reiter Bewegungen unter ihnen falsch und hieben auf die Wehrlosen ein. Unter Einsatz seines Lebens beendete der Herzog von Enghien die Metzelei.
Nur drei spanische Terzios, die zunächst in der Reserve standen, hatten sich zusammengeschlossen. Sie hielten unter ihren Kommandeuren, Graf Garcies, Don Jorge de Castelvi und dem Sergeant-Major Peralta, dem allseitigen Ansturm der Franzosen stand und zogen sich in Formation in den Schutz eines Waldstückes zurück. Alle Attacken der französischen Verbände scheiterten am hartnäckigen Widerstand der spanischen Pikeniere und Musketiere. Angebote zur Kapitulation lehnten die Spanier mit dem Hinweis ab, dass sie lieber einen ehrenvollen Tod im Kampf sterben würden, als sich zu ergeben.
Nach weiteren gescheiterten Angriffen mit hohen Verlusten der Franzosen, unterbreitete der Herzog von Enghien, der immer noch das Eintreffen der spanischen Verstärkung unter General Johann von Beck befürchtete, das „Angebot des ehrenvollen Abzuges“. Diese Offerte galt in der Regel nur bei der Übergabe von Festungen für die abziehende Besatzung. So zogen bei freiem Geleit die fast 3.000 spanischen Soldaten unter Waffen, mit klingendem Spiel, wehenden Fahnen und im Besitz ihrer Habe quer durch Frankreich in die Heimat.
Die Schlacht bei Rocroi, die gegen zehn Uhr beendet war, soll insgesamt ca. 12.000 Menschenleben gefordert haben. Davon waren ca. 7.500 Spanier und ca. 4.500 Franzosen. Die französischen und spanischen Quellen weisen – meist zu eigenen Gunsten – unterschiedliche Zahlen auf. Ähnlich abweichend sind die Schilderungen von Abläufen und Details des Geschehens. Historiker beider Länder sind bis heute noch nicht zu einer gemeinsamen und objektiven Beurteilung des Ereignisses gekommen.   
Mit dem französischen Sieg bei Rocroi wurde sicher der Nimbus der Unbesiegbarkeit der spanischen Armee, die damals zu den besten in Europa zählte, beschädigt. Strategisch war der Ausgang der Schlacht für Frankreich kaum erfolgreich. Denn bereits im Jahr 1653 erschien wieder ein spanisches Heer vor Rocroi, eroberte die Festung und hielt sie über sechs Jahre, bis zum Friedenschluss 1659, besetzt.
Literaturhinweis / Quellen
Stèphane Thion: Rocroi 1643 – ISBN 9 782352 502555
WIKIPEDIA
Bert Wego (Anregungen und Informationen)
Zinnfiguren-Fotos: Dr.-Ing. Werner Rabe